Die Chronik der Schützenfahne
Von den Umständen, wie die Schützenkompanie Lüsen zu einer Fahne kam, war bis vor Kurzem wenig bekannt, da außer eines im Ferdinandeum in Innsbruck aufgefundenen Statuts aus dem Jahr 1910 leider keine Dokumente aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg mehr vorliegen.
Aus der Überlieferung war eine Fahnenweihe im Jahre 1910 bekannt, mit Fahnenpatin Frau Rosina Ragginer, Schmiedemeistersfrau vom Kaserbach. Aber aus alten Fotos aus der Zeit um 1900 geht hervor, dass die Kompanie bereits vor 1910 eine Fahne besessen hat. So ist im Dorfbuch eine Aufnahme der Musikkapelle Lüsen aus dem Jahr 1898 abgebildet, auf welcher ein in Schützentracht gekleidetes Mitglied eine Fahne hält, mit einem deutlich erkennbaren Tiroler Adler, identisch oder sehr ähnlich jenem, der heute noch unsere Fahne ziert (siehe Bild). Dies müsste wohl die Schützenfahne gewesen sein, mit denselben Motiven des Tiroler Adlers und des Herzen-Jesu, wie sie auch auf mehreren Fotos aus den Jahren 1909, 1912 und 1920 zu erkennen ist. Auf den letzteren Fotos ist auch ein Fahnenband mit der folgenden Aufschrift zu erkennen: „Der Ewigkeit geweiht Schützencolonie Lüsen – Gew. von Fräulein Rosa Pichler 1900“.
Da der Name “Pichler” in Lüsen erst nach 1930 auftauchte, wusste man mit diesen Erkenntnissen nichts anders anzufangen als den Historiker Dr. Ernst Delmonego um Nachforschungen zu bitten. Dieser wurde in der “Brixner Chronik” vom 25. August 1900, Seite 5, fündig. Aus dem Bericht geht hervor, dass durch die Bemühungen des Herrn Ignaz Hofer, Unterwirt in Lüsen, den Lüsner Schützen ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung ging als sie eine schöne von Herrn Hofer in Brixen angefertigte neue Fahne erhielten, die am Fest Maria Himmelfahrt am 15. August 1900 von Pfarrer Josef Kofler geweiht wurde.
Fahnenpatin war Frau Fanny Leopold, geborene Stremitzer von Brixen. Fanny (Franziska) Stremitzer ist am 29. September 1865 als Tochter des Häusererwirts (heute Grüner Baum) Johann Stremitzer und der Maria Johanna Kehl in Brixen geboren und laut mündlicher Mitteilung der derzeitigen Stremitzerwirtin 1926 in Grieskirchen (bei Schallerbach) in Oberösterreich verstorben (siehe dazu einen Bericht von Dr. Delmonego u.a. über Fanny Stremitzer, die in Jugendjahren mit einer Gruppe von “Tyroler National-Sängern” durch ganz Europa und auch nach Nordamerika tourte. Diesen Bericht hat er für den St. Kassian Kalender 2016 geschrieben).
Dass Fanny Stremitzer als Fahnenpatin fungierte, so meinte Ernst Delmonego, lege die Vermutung nahe, dass die Lüsner Schützen bei ihren Ausrückungen oder auch sonst wohl gerne beim Stremitzer eingekehrt sind. Ferner ist in diesem Artikel vermerkt, dass Fräulein Rosa Pichler den Lüsnern ein schön gesticktes Fahnenband spendierte. So konnte der Zusammenhang mit den oben erwähnten Fotos einwandfrei hergestellt werden. Rosa Pichler, geb. am 11. Jänner 1879 in Brixen, war die Tochter des Villanderer Holzhändlers Stefan Pichler und der Maria Brunner, ebenfalls aus Villanders. Sie vermählte sich 1904 mit dem k. und k. Postoffizial Peter Oberhuber aus Brixen.
Im Bild Lüsner Schützen in Wien beim eucharistischen Kongress vom 10.09.1912 mit Fähnrich Franz Hinteregger, Mairhofer
Aber Dr. Ernst Delmonego fand auch noch eine viel ältere Erwähnung einer Lüsner Schützenfahne, und zwar im „Denkbuch der Erbhuldigung in Tirol 1838“ von Beda Weber. Auf Seite 140 wird von der Einweihung der Franzensfeste am 18. August 1838 berichtet, an der neben dem Kaiser Ferdinand, dem Erzherzog Johann und Fürstbischof Bernhard Galura von Brixen unter anderem auch 700 Schützen vom Landgericht Brixen und aus dem Pustertal teilnahmen. Wörtlich schreibt nun Beda Weber: „Unter den Schützen zeichneten sich besonders die Lüsener aus, eine gesonderte Abteilung der Kompanie des Landgerichtes Brixen, mit einer neuen in Gold gestickten Fahne, ihre Hüte von gelbgrüner Farbe mit breiten Flügeln, rechts aufgestülpt, mit weißgrüner Kokarde, dahinter mit Spielhahnfedern ausgeschmückt, in rottuchenen Jacken, kurzen Hosen schwarzer Farbe und weißen Strümpfen, so bergesfrisch in Fleisch und Teint, als wären sie aus Metall gegossen.“
Ob es diese Fahne war, die 60 Jahre später, vielleicht in der Zwischenzeit renoviert und verändert, auf dem Foto (siehe oben) abgebildet wurde, weiß man nicht. Auch konnte bisher keine genauere Beschreibung der historischen Fahne ausfindig gemacht werden, als man es auf den Schwarz-Weiß-Fotos erkennen kann. Das Fahnentuch dürfte die Farben Grün-Weiß-Grün gehabt haben, von den beiden Fahnenbildern war der Tiroler Adler identisch, das Herz Jesu samt Aufschrift „Das geloben wir auf Neue – Jesu Herz Dir ewg’e Treue“ sehr ähnlich der Fahne von 1951 (siehe unten).
Beim großen Dorfbrand im Jahr 1921, als die Hälfte der Trachten dem Feuer zum Opfer viel, konnte die Fahne gerettet werden. Am Fronleichnamstag 1925, als der faschistische Podestà gleich nach der Aufstellung den Schützen den Befehl gab, sofort zu verschwinden und die Fahne ihm abzuliefern, erreichte Hptm. Franz Winkler durch Verhandeln, bei der Prozession noch mitmarschieren zu können und nachher abzuziehen. Während der Prozession verschwand Franz Hinteregger, Mairhoferbauer, mit der Fahne und versteckte sie auf seinem Hof, wo er eine eigene Truhe anfertigen lies.
In den späteren Jahren wurde die Fahne bis nach dem Zweiten Weltkrieg im Kirchturm versteckt, was zur Folge hatte, dass der Stoff bis auf die Fahnenbilder (Adler und Herz-Jesu) verfaulte. Somit musste sich die Kompanie nach ihrer Wiedergründung 1948 nach einer neuen Fahne umsehen. Aus dem Angebot vom 4. Mai 1951 der Firma „Michael Hofer“ aus Bozen, welche für die Herstellung einer neuen Fahne beauftragt wurde, geht hervor, dass von der historischen Fahne nur noch der Tiroler Adler und ein Teil des Herzen Jesu als Fahnenbilder sowie die Lanze verwendet werden konnten: „Auf der weißgrünen Seite kommt der Tiroler Adler, welchen sie hier gelassen haben. Natürlich muss er neu herausgeputzt werden, wie z.B. der Lorbeerkranz. Die Krone und die Zwischenfedern müssen neu gemacht werden. Auf der weißroten Seite kommt das Herz-Jesu, wie Sie es auf der Skizze sehen“.
Am Herz-Jesu Sonntag 1951 wurde von Pfarrer Eduard Mair unter der Eggen die erneuerte Fahne gesegnet. Fahnenpatin war die Kochbäuerin Rosina Winkler, die Hermann Prosch zum Fähnrich bestimmte und ihm die Fahne übergab. 1976 wurde die Fahne einer gründlichen Reparatur bei einer Fahnensticker in Salzburg unterzogen und dann am 5. Juni 1977 von Pfarrer Richard Hofer im Rahmen eines großen Schützenfestes in Anwesenheit von 700 Schützen, der geschlossenen Bundesleitung und 37 Fahnen gesegnet. Links im Bild erkennbar sind Hptm. Josef Federspieler, Bezirksmajor Sepp Kaser, Pfarrer Richard Hofer, Fähnrich Hermann Prosch. Fahnenpatin war Luise Niedermair, Oberwirtin und Frau des Gründungshauptmanns Josef Niedermair. Ihr wurde beim Jubiläumsfest 2008 die Ehrenmitgliedschaft verliehen.
Da nach dreißig Jahren die Fahne wiederum einer gründlichen Renovierung bedurfte, hat sich die Kompanie entschieden, anlässlich des 60. Wiedergründungsjubiläums eine neue Fahne anzuschaffen. Diese wurde bei der Firma Jaeschke in Engelsberg (Bayern) in Auftrag gegeben.
Es wurde versucht, die neue Fahne in enger Anlehnung an die historische (1900) zu entwerfen, wobei vor allem die Darstellung des Tiroler Adlers einen anschaulichen Bezug darstellt. Die Rückseite der Fahne schmückt eine gestickte Darstellung der Herz-Jesu-Statue aus unserer Pfarrkirche des ladinischen Bildhauers Franz Tavella (1844-1931), die von den Schützen bei den Herz-Jesu-Prozessionen mitgetragen wird. Die neue Fahne wurde im Rahmen des großen Jubiläumsfestes bei der Feldmesse am Sonntag, 20. Juli 2008 von Pfarrer P. Alfred Kugler gesegnet, Fahnenpatin Maria Hinteregger vom Lüsner Hof übergab sie der Kompanie.
Bisherigen Fähnriche, soweit bekannt:
- um 1909 Franz Hinteregger, Mairhoferbauer †
- um 1920 Johann Ragginer, Lengereier †
- um 1925 Johann Prosch (lt. Lüsner Dorfbuch) †
- 1948 – 51 Josef Federspieler, Gostnerhof
- 1951 – 96 Hermann Prosch †
- seit 1996 Martin Federspieler, Gostnersohn